Wie können wir in Pandemiezeiten die Versorgung durch Rehasport sicherstellen?
Rehasport in Coronazeiten ist eine Herausforderung auf vielen Ebenen. Zu den unterschiedlichen gesetzlichen Regeln in den Coronaverordnungen der einzelnen Bundesländer kommen ergänzend immer wieder eigene Interpretationen von den Behinderten- und Rehasportverbänden. Diese gehen oft über die des Gesetzgebers hinaus. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass ständig mehr Regeln noch besser sind. Mit dem Mehr an Regeln ist man dann vermeintlich auf der noch sichereren Seite. Getreu dem Motto: Wer die meisten Regeln aufstellt gewinnt. Sozusagen ein Regelüberbietungswettbewerb! Gewiss ist das jetzt etwas überspitzt formuliert. Es drückt aber die derzeit häufigste Handlungsorientierung aus: Nur keine Fehler machen! Als ob man durch Fehlervermeidung automatisch wüsste, wo es langgeht! Man könnte auch sagen, wir halten das Leben an, um sicher zu leben. Das ist paradox!
Orientierungshilfen in Coronazeiten
Keine Frage! In Coronazeiten gibt es wichtige Orientierungen zum Schutz vor Ansteckung. Diese sind allen bekannt und geläufig. Sie funktionieren im Rehasport so gut, dass man gar nicht mehr darüber spricht. Mit der gängigen Abstandsregel von 1,5 Meter (wir haben im Rehasport rechnerisch bei 5 qm/ TN einen Abstand von 2,50 Meter), bei einer Blockaufstellung der Teilnehmenden zum Übungsleiter (alle das Gesicht in eine Richtung; also nicht Gesicht zu Gesicht, von der die 1,5 Meter Abstandsregel ausgeht) und mit regelmäßigen Lüftungspausen. Das ist weit sicherer als in jedem Lebensmittelgeschäft oder Restaurant, in das viele gehen, ohne sich Gedanken über ihre Sicherheit zu machen. Es gibt auch in den zwei Corona-Jahren keine nachgewiesenen Ansteckungen im Rehasport. Dazu haben wir bei einigen Reha- und Behindertensportverbänden und im Sozialministerium Baden-Württemberg nachgefragt. In vier uns bekannten Fällen kam es auch dann zu keiner Ansteckung, als an Corona erkrankte Teilnehmer unwissentlich einen Kurs besucht hatten. Man kann also mit einer gewissen Sicherheit sagen: Rehasport ist „ziemlich!!!“ sicher.
Was sagt der Dachverband?
In dieser Situation veröffentlicht nun der DBS (Deutscher Behindertensportverband) die Meinung, dass Übungsleiterinnen und Übungsleiter im ärztlich verordneten Rehasport ebenfalls der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterworfen seien. Dazu kann man den DBS zitieren:
Im weiteren Verlauf wird dann der Versuch unternommen, eine Impfpflicht aufgrund der Auslegungshinweise „herbeizuinterpretieren“. Denn der DBS stützt sich dabei auf reine Empfehlungen des RKI, in denen klar zum Ausdruck kommt, dass es sich um Empfehlungen handelt, die – so die Formulierung des RKI – „in Teilen hilfreich sein können“ und „nicht im Fokus des Dokumentes stehen“. Von „Muss“ oder „Pflicht“ keine Rede!
Es drängt sich mir die Frage auf, was den DBS antreibt, diese Interpretation herbeizureden. Man kann davon ausgehen, dass der DBS nach dem Motto „mehr ist besser“ denkt. Ob das „Mehr“ tatsächlich mehr Sicherheit bringt und was der Preis für die vermeintliche Sicherheit in Coronazeiten ist, wird vom DBS nicht betrachtet. Fakt ist: der Rehasport war vor der Impfung schon sicher, auch für die vulnerablen Gruppen! Es ist nachweislich keine Ansteckung in den Rehasport-Gruppen bekannt. Mittlerweile sind so gut wie alle Teilnehmenden geimpft, die restlichen aufgrund der 3-G-Regel regelmäßig getestet. Das heißt, die Sicherheit in den Rehasport-Gruppen ist aktuell noch höher als vorher ohne Impfung der Teilnehmenden.
Trotz dieser (sehr sicheren) Ausgangslage bringt jetzt der DBS eine Impfpflicht ins Spiel. Ich frage mich in dieser Situation, welchen Mehrwert eine Impfpflicht wirklich bringen würde. Wieviel „Mehr“ an Sicherheit bringt das? Wenn jetzt eine Impfpflicht für Übungsleiterinnen und Übungsleiter eingeführt werden sollte, haben wir eine reine Selbstschutzverpflichtung. Da eine Impfung nicht vor einer Omikron-Ansteckung schützt, schützt sich die geimpfte Person somit nur selbst vor einem eventuell schweren Verlauf. Eine gesetzliche Verpflichtung zum Selbstschutz stellt aber keinen ausreichenden Grund für eine Impfpflicht dar. Was für den DBS jetzt sicherer sein soll, ist also sachlich nicht schlüssig nachvollziehbar.
Impflicht erzeugt Engpass in der Versorgung
Wenn die Impfpflicht für Übungsleitungen kommen sollte, dann haben wir ein ganz anderes Problem. Übungsleiterinnen und Übungsleiter sind ein knappes Gut. Der Engpass in der Versorgung ist, ebenso wie in der Pflege, das Personal. Stellen wir uns vor, die Impfpflicht würde kommen, heißt das, dass 15 – 25 % der Übungsleiterinnen und Übungsleiter ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen können. Wobei die Frage, weshalb sich jemand impfen lässt oder ob die Impfung richtig oder falsch ist, hier keine Rolle spielt. Die Folgen einer Impflicht wären jedoch gravierend. Viele Rehasport-Gruppen könnten dann nicht mehr angeboten werden. Die Teilnehmenden würden dadurch nicht nur ihr notwendiges Bewegungsangebot verlieren, sondern müssten auch auf die wichtigen psychosozialen Wirkungen des Rehasports verzichten. Die Versorgung der Patienten wäre stark eingeschränkt.
Wenn man den Gedanken einer Impflicht für Übungsleitungen weiterspielt, dann wären alle anderen beschäftigten Personen, die in Kontakt mit den Rehasport-Teilnehmenden kommen, ebenfalls von der Impfpflicht betroffen. Das wären z.B. der Hausmeister einer öffentlichen Sporthalle, andere Trainer, die parallel im Vereinssport tätig sind, das Badepersonal im Schwimmbad oder das Empfangspersonal im Fitnessstudio. Wie diese Situation gehandhabt werden soll, ist völlig unklar. In den allermeisten Fällen wird das nicht umsetzbar sein. Was dann zur Folge hätte, dass der Rehasport aus „organisatorischen Gründen bei der Umsetzung der Impflicht“ nicht stattfinden könnte. Ein weiterer Einschnitt in der Versorgung!
Die einrichtungsbezogene Impflicht kann nicht pauschal auf alle Rehasport-Gruppen angewendet werden
Es steht aus gutem Grund „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ im Gesetz, und nicht „angebotsorientierte Impfpflicht“. Rehasport wird in vielen unterschiedlichen Einrichtungen durchgeführt und ist in den meisten Fällen ein Randangebot. Es wäre undenkbar, ein Schwimmbad, eine öffentliche Sporthalle oder ein Fitnessstudio den gleichen Regelungen zu unterwerfen wie ein Krankenhaus, eine Pflegeeinrichtung oder eine Physiotherapiepraxis. Es ist völlig unstrittig, dass Rehasport, wenn er in einer Pflegeeinrichtung, einer Physiotherapiepraxis oder einer Therapieeinrichtung durchgeführt wird, der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterliegt. Diese Einrichtungen sind explizit im Gesetz genannt. Die Impflicht gilt in diesem Fall nicht nur für das therapeutische Personal, sondern auch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung oder für externe Dienstleister, die das Pflegeheim bzw. die Praxis betreten. Und somit auch für die Übungsleiterinnen und Übungsleiter, die dort Gruppen durchführen.
Persönliches Fazit zur Impfpflicht
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt nicht für Vereine, die ärztlich verordneten Rehasport anbieten. Eine Klarstellung oder Änderung kann nur vom Gesetzgeber kommen, nicht aber vom DBS. Dem DBS kann man mit seiner Argumentation sicher gute Absicht unterstellen. Aber meine Meinung dazu: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht! Und genau hier lässt der DBS die Folgen seiner Auslegungen unberücksichtigt: Das Rehasport-Angebot würde begrenzt werden. Übungsleiterinnen und Übungsleiter würden dem Rehasport den Rücken kehren. Eine wichtige Versorgung durch Bewegung wird zum Versorgungsengpass! Gut gemeinte Absicht mit Ausblendung der Folgen! Das wäre eine angemessene Kritik am DBS. Leider nicht das erste Mal in der Pandemie! Da bleibt mir nur die Hoffnung auf die Lernfähigkeit des Verbandes, in Zukunft einen differenzierten Blick auf die Folgeabschätzung vorzunehmen, bevor solche Probleme herbeigeredet werden!
Bleiben Sie in Bewegung!
Herzlichst Ihr
Winfried Möck